Kein Sakrament wird auch von praktizierenden Katholiken so häufig missverstanden, überhöht oder auch abgelehnt wie die Beichte. In den anderen christlichen Religionen, von denen viele ebenfalls Formen der Beichte kennen, mehr aber noch in der kirchenferneren Gesellschaft, hat die katholische Beichte ein ausgesprochen negatives Image. Warum das so ist? Die Gründe für die ablehnende Haltung gegenüber der Beichte sind vielfältig, teilweise mythenbehaftet, andererseits aber auch einem über Jahrtausende und bis heute praktizierten problematischen Umgang mit diesem Sakrament geschuldet. Ablasshandel, Erpressung, Bruch des Beichtgeheimnisses, Missbrauch – die Verfehlungen der Kirche im Zusammenhang mit der Beichte sind zahlreich. Das Schmuddelimage, der Hauch von Verbotenem und altbacken Überkommenem umgibt den Beichtstuhl ungefähr im selben Maß wie die Reeperbahn in Hamburg. So ist heute selbst für die meisten getauften Katholiken das Sakrament der Beichte eine Terra incognita, die gemieden, wenn nicht sogar offensiv abgelehnt wird. An dieser Haltung ändern auch scheinbar positive Attribute und Umschreibungen wie Sakrament der Versöhnung oder Feier der Buße wenig. Die Beichte ist und bleibt das ungeliebte schwarze Schaf unter den Sakramenten!
Aber wer oder was ist eigentlich die Beichte? Bei Johannes (20,21-23) heißt es: „Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“ Und bereits in den Anfängen des Christentums war das Bekennen der eigenen Schuld, der begangenen Sünden, wichtiger Bestandteil des aktiven Glaubenslebens. Ob in privater Form als Ohrenbeichte für geringere Vergehen oder öffentlich für schwere Sünden. So heißt es im Jakobusbrief (5,16): „Bekennt einander eure Sünden, und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet.“
Erst im 9. Jahrhundert wurde der Ablauf der Beichte vereinheitlicht, aber auch nur in groben Zügen. Die Beichte ist seitdem Teil des Bußsakraments durch das die Wiederherstellung der Taufgnade, die für das ewige Leben bei Gott notwendig ist, erreicht wird. Für eine gültige Beichte müssen fünf Voraussetzungen gegeben sein: Gewissenserforschung, Reue, guter Vorsatz, Bekenntnis und Versuch der Wiedergutmachung.
Eigentlich eine prima Sache. Kein weltliches Gericht könnte das Voraussetzung für eine gelingende Resozialisierung von Straftätern besser definieren. Und sind nicht Strafzahlungen an die Staatskasse, Sozialstunden oder Spenden an gemeinnützige Institutionen vergleichbar mit den Kompensationszahlungen der reuigen Sünder im Mittelalter an Mutter Kirche? In gewisser Weise bestimmt, und doch gibt es gravierende Unterschiede. Während das weltliche Gericht im Hier und Jetzt agiert, ist die Vergebung der Schuld im kirchlichen Kontext immer eng mit dem ewigen Leben und der Grundangst des Menschen vor dem Tod, der Frage nach dem „Was dann?“ verknüpft. Das wiegt bei weitem schwerer. Findige Kirchenmänner haben ab dem Ende des 12. Jahrhunderts aus dieser Notlage eine wichtige kirchliche Einnahmequelle aufgetan. Die Beichte allein tilgt nämlich nicht die, durch die begangenen Sünden verursachten, zeitlichen Sündenstrafen, die gegebenenfalls noch im Fegefeuer verbüßt werden müssen. Bis zum Konzil von Trient (1545-63) konnte diese Zeit des Leidens nach dem Tod nur durch entsprechende Zahlungen verkürzt werden. Seither ist dieser Ablass zur Tilgung zeitlicher Sündenfolgen nicht mehr käuflich.
Seit der Urkirche gehört die Beichte, also das Bekenntnis des eigenen Versagens, zum Leben eines Christen. Wer anderen seine Schuld bekennt, bleibt ehrlich mit sich selbst und hält die Sehnsucht wach, ein anderer, besserer Mensch zu werden. In diesem Sinne ist die Beichte etwas Urmenschliches und Urchristliches.
Sünden bereuen ist prinzipiell schon mal ein guter Ansatz. Aber warum brauche ich als Katholik einen Priester als Vermittler zwischen mir und Gott, damit das auch klappt mit dem Verzeihen? Versteht Gott mich nicht? Spricht er eine andere Sprache und braucht für das Bekennen meiner Fehler einen Übersetzer? Mein Gebet kommt doch sonst hoffentlich auch ohne Hilfe bei ihm an!
Prinzipiell gilt das mit der Direktverbindung auch für die Beichte. Wir sind zwar von Seiten der Amtskirche zur häufigen Beichte eingeladen, aber dabei handelt es sich zunächst einmal um einen freiwilligen Akt. Lässliche Sünden – und das sind doch wohl die allermeisten – bedürfen keiner Absolution, keiner Vergebung durch einen Priester. Da reicht der persönliche Dialog mit Gott. Gut zu wissen, dass wenigstens das ohne größeren administrativen Aufwand funktioniert. Bei schweren Sünden oder gar Todsünden ist das Beichtgespräch allerdings zwingend vorgeschrieben. Auch geht die katholische Kirche davon aus, dass im Verlauf eines Jahres jeder Gläubige diverse schwere Sünden anhäuft, die in einer verpflichtenden, jährlichen Beichte vor den Priester und damit vor Gott getragen werden müssen. Das gilt im Übrigen erst für Gläubige, die das Unterscheidungsalter erreicht haben, weshalb sich durchaus die Frage nach der Erstbeichte im Rahmen der Vorbereitung zur Erstkommunion stellen könnte.
Und schließlich, um den formalen Rahmen abzuschließen, gibt es auch in der katholischen Kirche die Möglichkeit der Laienbeichte, wie sie etwa vom Hl. Thomas von Aquin ausdrücklich empfohlen wird. Sie ersetzt nicht die sakramentale Beichte und führt nicht zu einer Vergebung der schweren Sünden.
Und jetzt mal auf das eigentliche Problem geschaut. Also, genau genommen sind es derer ja zwei. Zum einen steht vor jeder korrekten Beichte die Auflage, einen geweihten Priester als Vermittler der persönlichen Verfehlungen an Gott hinzuziehen zu müssen, um Absolution und Vergebung zu erlangen. Zum anderen nimmt die Beichtpflicht dabei jeden Gläubigen an die ganz kurze Leine. Der Weg zu Gott und zur Vergebung der Sünden führt für uns Normalsterbliche also nur über die ordentliche Beichte bei einem ordinierten Priester.
Genau mit diesen beiden Pflichten verschenkt die katholische Kirche aber alle Möglichkeiten, die ihr im Johannesevangelium zur Verfügung gestellt werden: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, …“, ist doch ein wunderbares Angebot, das die Kirche jedem Menschen – keineswegs nur den Angehörigen der eigenen Konfession – auf dieser Grundlage machen kann. Wer wünscht sich nicht Vergebung für all die Dinge, die er bereut? Und das ganz kostenlos, im Gegensatz etwa zum Psychotherapeuten. Als freiwilliges, kostenloses Angebot, wie etwa die Lebens-, Verbraucher- oder Schuldnerberatung, wäre ein solches Beichtangebot bestimmt der Renner!
Wobei: Zunächst muss da ja durchaus erst einmal die Einsicht in die eigenen Fehler und die Bereitschaft zur Umkehr reifen, bevor dann schließlich die Hürde, das eigene Fehlverhalten einer fremden Person zu beichten, genommen werden muss. Also doch kein ganz so einfaches Unterfangen. Allerdings immer noch eine völlig andere Ausgangslage als eine drohende Unterlassungsklage und das Winken mit dem Zaunpfahl des Fegefeuers, um Gläubige zur Beichte zu zwingen. Warum dieses mangelnde Vertrauen der Kirche in die eigenen Schäflein? Steht dahinter vielleicht die Furcht, an Bedeutung zu verlieren, wenn Priester nicht mehr das Nadelöhr darstellen, das den Gläubigen den Weg zum Himmel öffnen oder auch verschließen kann? Der Priester als Seelsorger passt in meinen Augen so gar nicht zum Zerberus, ohne den der Weg zu Gott für den Laien nicht möglich ist. Das Angebot der Beichte sollte, ähnlich einem Medikament oder einer Heilbehandlung, ein fachlich fundiertes Angebot von kirchlicher Seite für den sündigen Gläubigen sein. Eine Möglichkeit, seelischen Ballast abzuladen, Zuspruch und Vergebung zu erfahren und neu beginnen zu können. Ein schlimmer Fehler ist dagegen die aktuell praktizierte, dogmatische Verfahrensweise der katholischen Kirche, die die Wirksamkeit alternativer Heilbehandlungen oder auch Selbstheilungskräfte vehement bestreitet, ablehnt und auf der allein zulässigen und seligmachenden Erlösung durch die Ohrenbeichte beharrt.
Die Beichtpflicht als unüberwindbares Hindernis auf dem Weg der Erlösung und schlussendlich zu Gott ist ein Eigentor der katholischen Kirche. Anstatt die ständige Abnahme der Beichtwilligen zu beklagen, sollte in die fachliche Ausbildung der Seelsorger im gesprächstherapeutischen Bereich investiert werden, sollte eine entsprechende Zusammenarbeit mit – gern auch kirchlichen – Beratungsstellen initiiert werden und schließlich Supervisionsangebote an Priester, die häufig mit dem was ihnen da im Gespräch offenbart wird, völlig überfordert sind, auf- und ausgebaut werden. Der Beichtpflicht wünsche ich dagegen ein ähnliches Schicksal wie dem käuflichen Ablass beim Konzil von Trient: Ab mit ihr in die Annalen der Kirchengeschichte!