Unterwegs mit dem Wind
von Wolgast auf den Högakull

Februar 2025

Mit dem Wind ...  

… die Wahl gehabt und eine Entscheidung getroffen. Und diesmal ging es nicht um so alltägliche Fragen wie Kaffee oder Tee, Fahrrad oder Auto, grüne, braune oder doch lieber schwarze Socken? Es ging um eine wirklich wichtige Entscheidung. Wichtig? Was sag ich: Lebenswichtig!
Wie immer Ende Januar, sind die Insulaner fast unter sich. Nur an besonders schönen Tagen verirrt sich der ein oder andere Tagesgast an den Strand. Viele Restaurants und Hotels machen Betriebsferien und aus diesem Grund ist auch der „Betrieb“ auf den Straßen, Wegen und sogar am Strand sehr übersichtlich. Freiheit! – denkt sich da dann auch der ein oder andere Hundebesitzer und lässt seinen Vierbeiner an der richtig langen oder gleich ganz ohne Leine laufen. Im Prinzip ist das auch gar nicht verwerflich, und ich gönne den Kläffern das bisschen Freiheit von Herzen.
Letzte Woche allerdings – ich bin an einem wirklich herrlichen Sonntagnachmittag mit meinem Rennrad auf dem Neeberger Weg unterwegs gewesen –, war es schlagartig vorbei mit meiner Großzügigkeit. Nach einer Wegbiegung sah ich nur 50 Meter vor mir einen mir gut bekannten 80Kg-Vertreter der Spezies Canis lupus familiaris wie einen liegengebliebenen LKW in der Mitte des Weges thronen. Der Riesenköter lag bei unseren bisherigen Begegnungen meist regungslos hinter seinem Gartentor und glotzte desinteressiert hinter mir her, wenn ich auf meinem Rad vorbeihuschte. Auch in Freiheit schien der Koloss nicht vor Bewegungsdrang zu bersten. Trotzdem: Er stand nun mal mitten auf und damit eben auch im Weg. Die hektischen Bemühungen seiner Besitzerin, die voll ausgefahrene Schleppleine einzuholen, erinnerten in ihrer Vergeblichkeit an einen Angler, an dessen Leine ein Pottwal hängt. Zudem hatte „Wotan“ offenbar seine Hörgeräte ausgeschaltet oder zu Hause vergessen. Alles Rufen und Zerren half nichts. „Festgemauert in der Erden stand der Hund und starrt gebannt“, um mal einen unserer großen Dichter zu zitieren.
Ich bremste ab, rollte im Schneckentempo weiter und checkte dabei meine möglichen Handlungsoptionen:

  1. Absteigen und das Hindernis in einem weiten Bogen über das verschlammte Feld umlaufen.
  2. Zügig an der Statue vorbeifahren. Schließlich reichte der Platz problemlos aus, der Hund hatte hinter seinem Gartentor bisher keinen übertriebenen Aktivismus an den Tag gelegt und schließlich ist die Variante „Augen zu und durch“ eine altbewährte und oft erfolgreiche angewandte Methode im Umgang mit Gefahrensituationen.
  3. Absteigen und Brüllen. In der Hoffnung, dass die Besitzerin mein Problem, das ja eigentlich ihres war löst und der Hund das nicht als Aufforderung betrachtet, mir das Maul zu stopfen.
  4. Langsam an Hund und Frauchen vorbeirollen, in der Hoffnung, dass der Köter mich einfach nicht sieht.
  5. Umdrehen und meine Fahrt auf einer anderen Route fortsetzen.

Ich hatte die Wahl und musste eine Entscheidung treffen. Hier und jetzt. Wie beim Roulette. Wobei es sich in diesem Fall wohl um eine Unterart der russischen Variante handelte.
Entscheidungen treffen wir tagtäglich dutzende (siehe oben). Zumeist handelt es sich dabei aber gar nicht um „richtige“ Entscheidungen. Wir haben zwar die Wahl, aber unsere Routinen, Erfahrungen, Vorlieben oder auch äußere Zwänge geben uns die Entscheidung vor, nehmen sie uns ab. Das ist auch gut so. Denn wenn beispielsweise statt des routinierten Befüllens der Kaffeemaschine am Morgen zunächst ein langer Entscheidungsprozess (Kaffee, Tee – und dann welche Sorte -, Orangensaft, Wasser, Milch, …) durchlaufen werden müsste: Wir würden nie pünktlich bei der Arbeit erscheinen.
Leider hält unser Alltag aber, allen Routinen zum Trotz, noch ausreichend Entscheidungszwänge bereit, die sich eben nicht nach „Schema-F“ oder „machen wir wie immer“ abarbeiten lassen. Solche Fälle müssen dann ausführlich bedacht, abgewogen, analysiert oder besprochen werden. Abhängig von der Tragweite und Bedeutung der zu treffenden Entscheidung empfiehlt es sich sogar, Fachexpertisen einzuholen oder Entscheidungsgremien einzuberufen.
In vielen Fällen machen wir uns Entscheidungen wirklich nicht leicht. In manchen aber auch einfach viel zu schwer. Oft können wir gar nicht alles bedenken. Wir quälen und blockieren uns mit vermeintlichen Lösungsstrategien, um alle vermeintlichen Risiken auszuschließen, nur um schlussendlich festzustellen, dass wir trotzdem die falsche Entscheidung getroffen oder – noch viel schlimmer – weil die Angst, einen Fehler zu machen unser Handeln gelähmt hat, gar nichts entschieden haben.
Vielleicht sollten wir viel häufiger auf unser Bauchgefühl hören. Das entsteht übrigens nicht im Magen, dem Darm oder der Leber, sondern ist die unterbewusste Fülle all unserer Erfahrungen. Eigentlich eine gute Basis für Entscheidungen, die wir viel häufiger nutzen sollten.
Mein Bauchgefühl hat sich im Übrigen für die vierte Möglichkeit entschieden. Langsam rollte ich auf das Monument aus Muskeln, Fett und Haaren zu. Schon war ich fast vorbei und gratulierte mir zu meinem Mut, als der Koloss seinen massigen Körper mit einem abgrundtiefen WUFF entschlossen gegen mein Hinterrad warf. Nicht wütend oder aggressiv, sondern eher angenervt. Wie eine Kuh, die lästige Fliegen mit ihrem Schwanz vertreibt.
Mein Rad ruckelte kurz und wider Erwarten blieb ich im Sattel. Dabei reicht doch manchmal schon ein kleines Steinchen auf dem Weg, um mich und meinen fahrbaren 8Kg-Untersatz aus Carbon ins Straucheln zu bringen.
Ein Wunder? Glück gehabt? Oder war da die schützende Hand meines Schutzengels im Spiel, der meinen Mut, mein Gottvertrauen oder auch einfach nur mein Bauchgefühl unterstützen wollte? Bestimmt war es so. Ganz sicher sogar! Dafür bin ich ihm dankbar. Und dem, der ihn geschickt hat sowieso.
Hören Sie öfter auf ihr Bauchgewühl, wenn Sie Entscheidungen treffen müssen oder die Wahl haben. Und kalkulieren Sie ruhig die Hilfe Ihres Schutzengels mit ein. Wenn Sie bei ihren Entscheidungen versuchen, das Wohl Ihres Nächsten zu berücksichtigen, menschlich zu handeln, großzügig, sozial und gerecht, dann können Sie auf seine Unterstützung zählen.